Was soll bleiben von der Corona-Krise?

Während der Corona-Pandemie hat sich die Telemedizin aus der Not heraus immer mehr etabliert – eine Folge, die bleiben kann.

Was soll bleiben von der Corona-Krise?

Thema der Woche, 20.04.2020 von Dr. med. Marlies Karsch
Die Eindämmungsmaßnahmen während der COVID-19-Epidemie fordern unsere Anpassungsfähigkeit heraus. Viele Dinge, die wir im beruflichen und privaten Alltag gewohnt waren, funktionieren nicht mehr. Wir müssen improvisieren, unseren Arbeitsalltag umstrukturieren, im Privatleben flexibel sein und die Kommunikation mit Freunden und Verwandten neu gestalten. Viele empfinden das als lästig. Aber einige Aspekte der neuen Normalität, die unseren Alltag bestimmt, können unser Leben auch nach der Corona-Epidemie erleichtern und bereichern. Sie verdienen einen genaueren Blick, bevor wir sie uns einfach wieder abgewöhnen.

Viele Hausarztpraxen haben Videosprechstunden etabliert, um das Patientenaufkommen in der Praxis einzuschränken und chronisch Kranken eine Kontaktmöglichkeit zu bieten, ohne dass sie sich der Ansteckungsgefahr in einer Arztpraxis aussetzen müssen. Während der Pandemie lernen somit auch ältere Patienten, mit dieser Kommunikationsform umzugehen, und gewöhnen sich daran, auf diese Weise ärztlich beraten zu werden. Auf diese Weise hat sich die Telemedizin während der Corona-Pandemie praktisch aus der Not heraus etabliert, und es besteht kein Grund, diese Infrastruktur nach Beendigung der Pandemie wieder abzuschaffen.

Die Ausstellung einer AU-Bescheinigung nach einer nur telefonischen Beratung hilft, den Arbeitsalltag in einer Hausarztpraxis zu vereinfachen und die Infektionsgefahr durch Kontaktreduzierung zu minimieren. Nicht nur Patienten mit banalen Erkrankungen, die von selbst ausheilen, wie Gastroenteritis oder Erkältung, auch unwissentlich SARS-CoV-Infizierte sitzen damit nicht mehr infektiös für andere im Wartezimmer. Die befristete Genehmigung zur telefonischen AU wurde vor einigen Tagen beendet, aber nach zahlreichen Protesten aus Ärztekreisen wieder durch den G-BA verlängert. Es ist wirklich wünschenswert, dass diese sinnvolle Regelung auch nach der Pandemie beibehalten wird.

Auch im Arbeitsalltag anderer Berufsgruppen tun sich neue Aspekte und Möglichkeiten auf. Durch Arbeit im Homeoffice können Wege gespart und das allgemeine Verkehrsaufkommen reduziert werden. Viele Firmen und Arbeitsgruppen entdecken ganz neu, dass Kommunikation auch im Rahmen von Videokonferenzen gut funktionieren kann und dass womöglich viele Dienstreisen unnötig sind.

Inzwischen ist viel von den Leistungen der Personen in „systemrelevanten Berufen" die Rede. Plötzlich bekommen nicht nur Ärzte, MFAs, Pflegende und Rettungsdienstmitarbeiter viel Respekt und Dankbarkeit zu spüren. Auch Feuerwehr, Supermarktangestellte, Müllabfuhr oder Paketzusteller werden plötzlich als wichtige Berufsgruppen wahrgenommen. Dass ihre häufig schlechte Bezahlung in den Medien und auch von der Politik thematisiert wird, endet hoffentlich nicht, wenn es der Gesellschaft wieder besser geht.

In den Köpfen der Allgemeinbevölkerung ist ein neues Bewusstsein für die Ansteckungsgefahr bei Atemwegsinfekten entstanden. Die Abstands- und Hygieneregeln sind für viele Menschen selbstverständlich geworden. Wenn die Menschen auch nach der Corona-Krise Hustenregeln beachten und sich regelmäßig die Hände waschen, hätte die Pandemie noch etwas Positives bewirkt. Viele Anpassungsstrategien an die Kontaktreduzierung bringen weitere positive Nebeneffekte mit sich: Ältere Menschen müssen sich den Umgang mit digitalen Medien aneignen, um mit ihrer Familie in Kontakt bleiben zu können. Viele haben Kontakt mit ihren Nachbarn aufgenommen und unterstützen diese im Alltag. Durch das geringere Verkehrsaufkommen haben CO2-Emissionen stark abgenommen. Und viele Menschen haben sich angewöhnt, Joggen zu gehen oder anderen Sport zu treiben, weil Bewegung oft erst interessant wird, wenn sie eingeschränkt ist. Es wäre jammerschade, wenn wir nach einer Aufhebung von Kontaktbeschränkungen und Shutdown nur wieder in alte Gewohnheiten zurückfallen und all das Positive, was wir neu in unseren Alltag integriert haben, einfach so vergessen würden. COVID-19 kann nicht nur Krise, sondern auch Chance für einen Neuanfang sein.

Marlies Karsch, Chefredakteurin