Quarantäne – ein Zustand

COVID-19: Quarantäne – ein Zustand

Thema der Woche, 07.12.2020 von Dr. med. Marlies Karsch
Die Quarantäneregeln des RKI sind uneinheitlich und nicht nur auf den ersten Blick verwirrend. Es gibt verschiedene Sonderregeln für bestimmte Kontaktsituationen und Ausnahmeregeln für medizinisches und nichtmedizinisches Personal bei Personalmangel. Für Kontaktpersonen erster Kategorie nach engem Kontakt mit einem nachgewiesenen COVID-19-Fall gilt eine Quarantänepflicht von 14 Tagen. Diese Pflicht gilt auch, wenn man sich lange im selben engen Raum aufgehalten hat wie ein Indexfall. Das betrifft somit auch Schüler*innen, wenn ein COVID-19-Fall in der Klasse auftritt. Diese 14-tägige Quarantäne kann auf 10 Tage verkürzt werden, wenn ein am zehnten Tag durchgeführter SARS-CoV-2-Test negativ ist.

Für Einreisende aus einem ausländischen Risikogebiet dagegen gilt eine Quarantänepflicht von 10 Tagen. Die Quarantäne kann durch die Vorlage eines negativen Testergebnisses frühestens nach 5 Tagen beendet werden. Bei Ankunft aus einem innerdeutschen Risikogebiet in einer weniger betroffenen Region besteht jedoch keine Quarantänepflicht. Sind ausländische Coronaviren wirklich gefährlicher? Für diese äußerst unlogische Regelung habe ich keine Begründung gefunden, außer dass „man" im Ausland möglicherweise ein riskanteres Verhalten an den Tag legen könnte als zu Hause. Naja. Kontaktpersonen und Einreisende aus ausländischen Risikogebieten müssen nicht in Quarantäne, falls sie selbst bereits früher ein laborbestätigter COVID-19-Fall waren.

Für Kontaktpersonen der Kategorie I unter medizinischem Personal gilt für Zeiten mit relevantem Personalmangel eine Einteilung nach Kategorie Ia (Kontakt zu Sekreten oder Exposition zu Aerosolen ohne adäquate Schutzkleidung) oder Ib (alle anderen). Personen der Kategorie Ia müssen mindestens 7 Tage in Quarantäne und können bei Symptomfreiheit frühestens ab Tag 8 wieder mit Mund-Nasen-Schutz arbeiten. Personen der Kategorie Ib müssen nicht in Quarantäne und können bei Symptomfreiheit mit Mund-Nasen-Schutz weiterarbeiten. Beide Gruppen sollen wiederholt getestet werden. Für Personal in Alten- und Pflegeeinrichtungen gilt bei Personalmangel eine 7-tägige Quarantäne. Kontaktpersonen unter bestimmten Gruppen des Personals der kritischen Infrastruktur müssen bei relevantem Personalmangel nicht in Quarantäne. Hinter diesen unterschiedlichen Regelungen stecken sicher viele logische Überlegungen, z. B. dass das Personal in Pflegeeinrichtungen besonders vulnerable Menschen betreut. Das Resultat trägt aber wirklich nicht zur Klarheit bei.

Bei allen unterschiedlichen Quarantäneregeln ist aber eines klar: Quarantäne bedeutet eine erhebliche Einschränkung für die Betroffenen. Beispielsweise befindet sich in meiner Nachbarschaft aktuell ein zwölfjähriger Junge in Quarantäne, weil in seiner Klasse ein COVID-19-Fall aufgetreten ist. Für ihn bedeutet das, dass er angehalten ist, für 14 Tage möglichst in seinem Zimmer zu bleiben und die Mahlzeiten getrennt von seiner Familie einzunehmen. Die Wohnung darf er nicht verlassen, und das, obwohl gerade der erste Schnee liegt. Freunde sind nur über soziale Medien erreichbar. Dass der Junge nicht nur den normalen Bewegungsdrang Zwölfjähriger, sondern auch ein ADHS hat, macht die Sache für ihn und seine Familie auch nicht leichter. Seine Schule hat sich bereits im Voraus für die schlechte Qualität des Distanzunterrichts entschuldigt. Das liege daran, dass die Schule ein schlechtes W-LAN habe. Ein Problem, das anscheinend über die Sommermonate nicht gelöst werden konnte.

Es gibt viele Konstellationen, die eine Quarantäne besonders schwer erträglich machen: Alleinstehende dürfen nicht einkaufen. Alleinerziehende können mit ihren Kindern nicht an die frische Luft gehen. Förderbedürftige Kinder haben keinen Ausgleich und dürfen ihre heilpädagogischen Tagesstätten nicht aufsuchen. Personen mit psychischen Problemen vereinsamen und können ihre Therapeuten allenfalls per Videositzung sehen. Menschen, die sich um Familienmitglieder kümmern müssen, dürfen ihre hilfsbedürftigen Eltern nicht besuchen. Häusliche Gewalt kann eskalieren, wenn die Betroffenen, aber auch die Täter, ihre Wohnung nicht verlassen dürfen. Quarantäne ist ein wichtiges Mittel zur Eindämmung der Pandemie. Aber dass die Quarantäne an sich für viele Betroffene ein großes Problem darstellt, darf nicht vergessen werden. Kontaktbeschränkungen und Infektionsschutzmaßnahmen sollten also auch der Verhinderung von Quarantäne dienen.

Marlies Karsch, Chefredakteurin