COVID-19-Impfstoffe und seltene thrombotische Nebenwirkungen

Der AstraZeneca Impfstoff hat in den letzten Wochen für viel Wirrung gesorgt, wir versuchen etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

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Thema der Woche, 19.04.2021 von Dr. med. Marlies Karsch
Der AstraZeneca-Impfstoff (Vaxzevria) gegen COVID-19 hat nach einem holprigen Start in der deutschen Impfkampagne mehrfach für Negativschlagzeilen gesorgt und jetzt ein ernsthaftes Imageproblem. Ich fasse zusammen: Zuerst gab es keine ausreichenden Daten zu älteren Menschen, weswegen der Impfstoff zunächst von der STIKO nur für Menschen unter 65 Jahre empfohlen wurde. Dann häuften sich Berichte über die akuten Nebenwirkungen: Viele Geimpfte mussten sich mit schweren grippalen Symptomen nach der Impfung krankmelden; etwas, das nach Impfung mit mRNA-Impfstoffen viel seltener und weniger ausgeprägt auftrat. Für jüngere Menschen war es aber nicht oder kaum möglich, an einen mRNA-Impfstoff zu kommen, weil der bei allgemeinem Impfstoffmangel ja für Ältere vorgesehen war. Später wurde der Impfstoff für alle Altersgruppen empfohlen. Dann kamen erste Berichte zu Hirnvenenthrombosen im Zusammenhang mit der Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff, vorwiegend bei Frauen unter 60 Jahren. Die Impfungen wurden ausgesetzt. Die EMA und das PEI überprüften den Impfstoff. Nach Abwägung aller Risiken von COVID-19 gegen die seltenen Impfnebenwirkungen wurde der Impfstoff in Deutschland wieder eingesetzt, ist jetzt aber nur für Personen ab 60 Jahren empfohlen. Jetzt ist es umgekehrt: Für Ältere ist es nur schwer möglich an einen wesentlich besser beleumundeten mRNA-Impfstoff zu kommen, weil der ja nun nur für Jüngere vorgesehen ist. Dies führt zu oft zeitaufwändigen Diskussionen in impfenden Hausarztpraxen.

Jetzt kommt erschwerend hinzu, dass der zweite in Deutschland zugelassene und von der STIKO empfohlene Vektorimpfstoff der Firma Johnson&Johnson (Janssen) ebenfalls mit seltenen und ungewöhnlichen thrombotischen Nebenwirkungen in Verbindung gebracht wird. Dieser Impfstoff wird derzeit überprüft, ein Impfstart in Deutschland ist aufgeschoben. Kaum bekannt ist, dass auch in Verbindung mit mRNA-Impfstoffen Sinusvenenthrombosen beschrieben sind und zwar nicht viel seltener als bei Vektorimpfstoffen. Außerdem führt COVID-19 selbst zu einem deutlich höheren Risiko für eine Sinusvenenthrombose als eine Impfung.

Die Wirrungen um den AstraZeneca Impfstoff haben zu immer wieder neuen Empfehlungen von STIKO und Fachgesellschaften geführt, auch bezüglich Zweitimpfung und Vorgehen bei Verdacht auf schwerwiegende Nebenwirkungen. Ich möchte Ihnen hierzu im Folgenden eine Übersicht geben:

Im Zusammenhang mit der Erstimpfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff kam es in seltenen Fällen im Verlauf von 5 bis 20 Tagen zu einem thrombotischen Syndrom mit Thrombopenie, das einer Heparin-induzierten Thrombopenie ähnelt. Dieses führte vor allem zu Hirnvenenthrombosen, aber auch zu Mesenterialvenenthrombosen, arteriellen Embolien und Lungenembolien mit teilweise tödlichem Verlauf und betraf vorwiegend Frauen unter 60 Jahren. Die Häufigkeit liegt laut PEI bei 1/100.000 Impfungen. Hierzu gibt es einen Rote-Hand-Brief.

Das Syndrom wird von deutschen Autor*innen als „Vakzineinduzierte prothrombotische Immunothrombozytopenie" (VIPIT) bezeichnet. Ursache ist eine Thrombopenie mit Antikörperbildung gegen Plättchenfaktor 4/Heparin-Komplexe. Für die Hausarztpraxis sind wohl folgende Empfehlungen mehrerer Fachgesellschaften relevant: Bei Auftreten von Symptomen einer Hirnvenenenthrombose (starke Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit/Erbrechen, Sehstörungen) innerhalb von 4 bis 16 Tagen nach der Impfung oder bei Thrombosezeichen/Petechien soll eine sofortige stationäre Einweisung erfolgen. Das Krankheitsbild soll in der Klinik mit Antikoagulation (kein Heparin) und ggf. mit hochdosierten Immunglobulinen und Dexamethason behandelt werden. Ist das klinische Bild nicht eindeutig, soll, nur wenn das Ergebnis am selben Tag in der Praxis vorliegt, ein kleines Blutbild durchgeführt werden. Bei Thrombopenie ist eine sofortige Klinikeinweisung indiziert. Wie Betroffene mit nicht eindeutigen Symptomen und normalen Thrombozyten beraten und versorgt werden sollen, ist nicht klar. In den Empfehlungen bleibt auch unerwähnt, dass COVID-19 selbst und mRNA-Impfstoffe ebenfalls das Risiko für Sinusvenenthrombosen erhöhen und nicht alle beschriebenen Sinusvenenthrombosen mit einer Thrombopenie einhergehen..

Viele jüngere Menschen, die entsprechend den ursprünglichen Impfempfehlungen eine Erstimpfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff erhalten haben, sind jetzt davon betroffen, dass dieser Impfstoff nicht mehr für ihre Altersgruppe empfohlen ist. Die STIKO empfiehlt hier ein heterologes Impfschema. Für die Zweitimpfung sollen mit AstraZeneca-Geimpfte einen mRNA-Impfstoff erhalten, obwohl es hier zu Sicherheit und Wirksamkeit noch keine Studiendaten gibt und die WHO ein solches Vorgehen (noch) nicht empfiehlt. Sollten sich Patient*innen mit dieser Empfehlung unsicher fühlen, kann nach ärztlichem Ermessen und sorgfältiger Aufklärung auch bei Personen unter 60 Jahren eine Impfung mit AstraZeneca erfolgen. Die Betroffenen sind jedenfalls nicht zu beneiden. Die Nachrichten, Impfempfehlungen und Studienergebnisse ändern sich derzeit in rasantem Tempo. Es ist durchaus möglich, dass die Aussagen in diesem Thema der Woche in ein paar Tagen veraltet sind. Wir halten Sie auf dem Laufenden, auch in unserem Artikel COVID-19.

Marlies Karsch, Chefredakteurin